300 Jahre St. Anna Schwerin - was Dokumente berichten
(3) Der lange Weg zum Kirchbau
Der lange und beschwerliche Weg der Katholiken in Mecklenburg bis zur Errichtung einer eigenen Kirche begann eigentlich schon 30 Jahre vor der Kirchweihe von St. Anna, die am 23. März 1795 stattfand. So bekam der regierende Herzog von Mecklenburg-Schwerin, Friedrich der Fromme, im Februar 1765 einen alarmierenden Brief von der Schweriner Gemeinde. Darin stand, deren Gotteshaus wäre jetzt so sehr verfallen, dass man „des selben umsturz nicht ohne vieler menschen gefahr täglich beförchten mus.“ Das Schreiben, das heute im Landeshauptarchiv Schwerin liegt, war von den beiden Schweriner Geistlichen, Pfarrer Hermann Joseph Frings und Aegidius „de Chêne“, sowie den Gemeindeältesten von Lützow und von Müllern unterzeichnet. Sie baten darin um Genehmigung, „in unserem neu zu bauenden Haus auch eine Capelle […] errichten zu können“ und versprachen, auf keinen Fall „dem selben eine äußerliche Gestalt einer Kirche zu geben.“ Sie wollten auch das Vorderhaus, das „gleichfalls sehr verfallen“ sei, wieder instandsetzen, um so „Dero Hertzöglichen Residentz an der Schloßstrasse ein besseres ansehen zu schaffen.“
Niemand weiß, ob den Herzog wirklich die Sorge um seine wenig geliebten katholischen Landeskinder umtrieb, als er 6 Monate später seinen Hofbaumeister Johann Joachim Busch und den Amtmann Christian Wilhelm Schumacher zu einer Visitation der katholischen Kapelle in Schwerin beorderte. Seine Residenz hatte er gerade nach Ludwigslust verlegt, so dass die gleichzeitig in Aussicht gestellte Verschönerung der Schweriner Schlossstrasse ihn kaum interessiert haben wird. Die beiden Hofbeamten Busch und Schumacher stellten fest, dass sich der ehemalige Pferdestall, der an der Klosterhofstraße (heute Klosterstraße) lag und in dem seit sieben Jahrzehnten die katholische Kapelle in Schwerin untergebracht war, in einem verheerenden baulichen Zustand befand.
Es waren zwar noch keine 30 Jahre vergangen, seit der zweite Pfarrer der Gemeinde, Karl von Stöcken, im Jahre 1735 den Bau grundlegend saniert und im Obergeschoss einen schönen Gottesdienstraum eingerichtet hatte. Doch erkannten die beiden Sachverständigen bald, dass die Stützen des Obergeschosses verfault waren, so „dass dieses sehr alte Gebäude schon vor vielen Jahren versackt“ sei. Der Verbindung der Balken mit den Mauerwerk wäre „wenig zu trauen“, die Wände seien „ausgewichen“, die das Dach tragenden Balken stark ausgebaucht. Fazit der Begutachtung war, dass „dieses Gebäude […] nicht lange mehr Bestand haben“ könnte. Vor allem sei ein baldiger Einsturz zu befürchten, weil sich an „großen Feiertagen eine Versammlung von Sechshundert Personen“ hier einfinde, für die das Gebäude sowieso viel zu klein sei.. Schließlich kämen Katholiken „aus dem gantzen Lande, einem Theil der Mark Brandenburg und Pommern“ zur Gottesdienstfeier nach Schwerin. Dem Herzog wurde dringend empfohlen, einen Neubau „zu begünstigen“.
Das Gutachten wurde am 11. Dezember 1765 ausgestellt. Noch vor Weihnachten des Jahres forderte der Herzog die Gemeinde auf, einen „Riß zu dem erforderlichen neuen Gebäude“ einzureichen, über den dann „in Gnaden“ entschieden werden könnte. Leider wurde aus dieser Offerte nichts. Vielmehr verschärften sich Anfechtungen und Reglementierungen, unter denen die Katholiken im Lande schon seit dem Regierungsantritt von Herzog Friedrich zu leiden hatten. Unter dessen Vorgänger, Herzog Christian Ludwig II. war es den Schweriner Jesuiten noch möglich gewesen, auf ihren Reisen zu Kranken und zu sterbenden Gemeindegliedern auch in anderen Städten Mecklenburgs Gottesdienste zu halten und die Sakramente zu spenden. 1767 untersagte der Herzog diese Praxis unter Androhung sofortiger Verbannung.
Bereits vier Jahre zuvor hatte Superintendent Menckel die katholischen Geistlichen beim Herzog angezeigt, weil sie konfessionsverschiedene Brautleute katholisch getraut und deren Kinder angeblich ohne Konsens der Eheleute getauft hatten. Außerdem wären die Katholiken zu Beerdigungen jetzt schon mit öffentlichem Trauerzug zum Friedhof gekommen, so dass es ausgesehen habe, „als wenn einer von unseren Religionsverwandten mit der Zunfft zu Grabe getragen würde.“ Umgehend kam das Strafmandat vom Herzog, der in den folgenden Jahren die Verordnungen gegen freiere Religionsübung der Katholiken zunehmend verschärfte. Sogar die Genehmigung zum dringend notwendigen Kirchbau machte er vom Wohlverhalten der katholischen Geistlichen im Sinne dieser Verordnungen abhängig. Das generelle Verbot, in anderen Städten als Schwerin die hl. Messe zu feiern, wurde 1769 für Rostock in der Zeit des Pfingstmarktes aufgehoben. 1770 schrieb der Schweriner Pfarrer Hermann Frings in seinem Jahresbericht: „In der Stadt Rostock [...] hat unser Herzog, wenn auch widerstrebend, damit ihm nicht eine größere Zahl katholischer Soldaten davonläuft, eine schriftliche Erlaubnis zur Seelsorge zugestanden.“
Von einer Genehmigung zum Neubau der Schweriner Kirche war in dieser Zeit keine Rede mehr. Zwar hatten die beiden Geistlichen 1766 deswegen nochmals eine dringende Bitte um „gnädigste Concession und erlaubnis“ an den Landesherrn gerichtet, allerdings ohne Erfolg. Im Pfarrarchiv von St. Anna finden sich stark verblichene Baurisse eines neu geplanten Gebäudes, das an Stelle der bisherigen Kapelle an der Klosterstraße gelegen hätte. Es war von außen im Stil eines zweigeschossigen barocken Bürgerhauses gehalten. Im Innern war ein großzügiger Kirchenraum vorgesehen, der über zwei Stockwerke reichte. Es könnte sich dabei um einen Entwurf des herzoglichen Baumeisters Johann Joachim Busch für den beantragten Kirchenneubau der Schweriner Katholiken handeln, der allerdings nie zur Ausführung kam. Die Wirren der kommenden Jahre drängten das Bauvorhaben der Gemeinde wohl in den Hintergrund. Durch die Auflösung des Jesuitenordens kamen viele Missionspfarreien in der nordeuropäischen Diaspora in arge Bedrängnis. In Schwerin musste bald auch das katholische Proseminar schließen, in dem seit 1739 viele begabte Jungen aus Norddeutschland und Skandinavien auf ein weiterführendes Studium im österreichischen Linz vorbereitet worden waren. Die Jesuitenpatres Frings und Dechêne blieben zwar als Weltpriester in der Pfarrei, jedoch war ihr Status und ihre jetzt ausschließliche Zuordnung zum Apostolischen Vikar in Hildesheim lange Zeit ungeklärt.
Fast 20 Jahre mussten die Katholiken Mecklenburgs sich noch in dem maroden Gebäude in Schwerin zum Gottesdienst versammeln, bis durch einen erneuten Wechsel auf dem Herzogsthron eine günstigere Zeit für einen Kirchenneubau anbrach. Herzog Friedrich war im Jahre 1785 kinderlos verstorben. Im gleichen Jahr trat Friedrich Franz I., dem der Ruf einer sehr toleranten Gesinnung vorausging, die Nachfolge seines Onkels an.
Doch erst im Mai 1788 trauten sich die Schweriner Geistlichen, erneut um Baugenehmigung für ein Gotteshaus beim Herzog nachzusuchen. Jetzt griffen sie auch eine Formulierung auf, die schon bei einem vierzig Jahre älteren Bittgesuch zu finden ist. Bereits 1748 baten die Schweriner Jesuitenpatres Henseler und Zuhorn den damaligen Herzog Christian Ludwig II., der katholischen Gemeinde einen Bauplatz für Kirche, Pfarrhaus und Schule in der Schelfstadt zur Verfügung zustellen. Vor allem die Kirche sollte „ein Haus zur Zierde der Stadt“ werden, ähnlich wie die zu der Zeit geplante St. Hedwigs-Kirche in Berlin.
Das Gesuch blieb auf Betreiben der herzoglichen Räte unbeantwortet. Auch das Schreiben vom Mai 1788 fand keine Antwort. Dieser Antrag hatte aber schon eine neue Qualität. Darin waren Steuerfreiheit für die uneigennützig verwandten Gelder und Grundstücke der Gemeinde erbeten, weiterhin die Erlaubnis zum Kirchbau nicht allein nach Duldung, sondern nach Landesrecht, drittens sollten Baumaterialien sowie Bauhilfsgelder verbilligt bereitgestellt sowie viertens die Erlaubnis erteilt werden, Kollekten für den Bau sowohl im Lande als auch auswärts durchführen zu können. Man merkt deutlich die Handschrift eines Profis, in diesem Falle wohl des katholischen Oberhofmarschalls Ignaz Conrad von Lützow, der in der Gemeinde und auch am herzoglichen Hof großen Einfluss hatte.
Da dieses Gesuch wieder keine Antwort fand, wiederholte Pfarrer Aegidius Dechêne – sein Kollege Hermann Joseph Frings war im selben Jahr verstorben - am 29. August 1788 den Antrag. Auf einem gesonderten Blatt findet sich dann ein lapidarer Satz, der aber bei genauem Betrachten aufmerken lässt: Dort steht: „Die Kirchenvorsteher der hiesigen Catholischen Gemeinde bitten unterthänigst um eine gnädige Antwort“.
So hatten sich inzwischen in der Gemeinde selbst gravierende Dinge ereignet. Eine Woche zuvor waren auf einer Versammlung der Gemeinde die Dringlichkeit des Kirchenneubaus und die desolate finanzielle Situation der Pfarrei zur Sprache gekommen. Die anwesenden Vertreter von 23 angesehenen katholischen Familien der Stadt wählten umgehend 4 Kirchenvorsteher, die beauftragt wurden, eine neue Ordnung zur Verwaltung und Verwendung der Gemeindegelder zu erarbeiten. Kernpunkt dieser Ordnung sollte sein, die Zuständigkeit für die Kirchenfinanzen künftig auf Laien zu übertragen, den Geistlichen die notwendigen Verwaltungsgeschäfte und auch die materielle Sorge um den geplanten Kirchbau abzunehmen sowie diese aus den Einkünften der Gemeinde zu besolden.
Zu Kirchenvorstehern wurden gewählt: Baron von Lützow, Freiherr von Wendland, Inspektor Salm und Kaufmann Bernasconi. Alle Anwesenden verpflichteten sich, mit ihrem gesamten Vermögen für die künftige materielle Existenz der Gemeinde zu bürgen. Die von den Kirchenvorstehern in der Folgezeit erarbeitete Ordnung, die in 16 Punkten alles zu den Gemeindefinanzen regelte, fand im August 1790 die Zustimmung des Hildesheimer Fürstbischofs Franz Egon von Fürstenberg. Dieser gab als Apostolischer Vikar bald darauf auch die Zustimmung zum geplanten Kirchbau von St. Anna.
Wie aber verhielt es sich jetzt mit der herzoglichen Genehmigung? Von der ersten Antwort auf den Antrag aus dem Jahre 1788 bis zur Genehmigung von Turm und Glocke 1792 war ein zunehmendes Entgegenkommen des Herzogs zu beobachten. Tatsächlich hatte Friedrich Franz I. bereits im Oktober 1788 den Katholiken im Lande die Konzession zum Neubau einer Kirche erteilt. Allerdings wurde die Gewährung von Bauhilfsgeldern und verbilligtem Baumaterial rundweg abgelehnt. Man sollte sich mit einer herzoglichen Spende von 300 Talern begnügen und alle weiteren benötigten Gelder durch Kollekten zusammenbringen. Außerdem wäre dieses auch keine Genehmigung nach Landesrecht, sondern ein reiner Gnadenakt des Landesherrn.
Die offizielle Baugenehmigung kam erst am 25. Mai 1790. Die Kirche sollte jetzt – um wirklich „ein Haus zur Zierde der Stadt“ zu sein - an Stelle des bisher vermieteten ehemaligen Bibowschen Wohnhauses direkt an der Schlossstraße errichtet werden. Wenige Monate später baten die Kirchenvorsteher den Herzog erneut um kostengünstige Bereitstellung von Baumaterial, was dieser dann umgehend - und bei späteren Bitten auch immer wieder - bewilligte. Am 22. Februar 1791 übertrug die Gemeinde dann die „Direction über den Bau des Gottes Hauses für die Catholische Gemeinde hieselbst“ per Vertrag an den herzoglichen Hofmaurermeister Johann Cornelius Barca. In diesem Vertrag findet sich unter Punkt 4. folgender Satz: „Statt des im Risse angegebenen Glockenthurms soll das Gebäude mit einem holländischen Dach versehen werden.“
Niemand weiß, wer die ersten Bauzeichnungen der neuen Kirche entworfen hatte. Der Bauriß selbst ist nicht mehr auffindbar. Bekannt ist nur, dass die Kirche hierauf einen Turm hatte. Dieser Entwurf wurde vom Herzog abgelehnt, der stattdessen ein turmloses Gebäude mit „holländischem Dach“ verlangte. Vermutlich hat Barca dann im zweiten Entwurf ein solches Gebäude gezeichnet, das mit einigen Änderungswünschen die Zustimmung des Landesherrn erhielt. So konnte bereits am 31. März 1791 die Grundsteinlegung für die neue Kirche stattfinden.
Aber die Gemeinde selbst war mit einer künftig turmlosen Kirche, die von außen kaum als solche erkennbar sein würde, unzufrieden. So wurden die Kirchenvorsteher während des Baus erneut beim Herzog vorstellig, um eine Änderung der jetzigen Ausführung zu erreichen. Als Grund für ihr erneutes Begehren gaben sie an, dass auch die Protestanten im katholischen Prag eine Kirche mit Turm und Glocke hätten. Der Herzog stimmte unter der Bedingung, dass diese Behauptung nachweisbar wäre, vorläufig zu. Nach nochmaligem Gespräch mit den Kirchenvorstehern im Mai des Jahres gab der Herzog am 16. Juni 1792 dann die endgültige Erlaubnis, „auf Eurem neuen Gottes-Hause einen kleinen Thurm [...] mit einer kleinen Glocke aufführen zu lassen.“
So konnte am 23. März 1795 die erste katholische Kirche in Mecklenburg mit einem kleinen Glockenturm geweiht werden. Das Hochamt zur Kirchweihe fand am nächsten Tag in Anwesenheit des Herzogs mitsamt Hof und Familie statt. Herzog Friedrich Franz I. kam auch am darauf folgenden Tag wieder in die überfüllte Kirche, als die Gemeinde hier zum Fest der Verkündigung des Herrn ein weiteres feierliches Hochamt feierte.
Dr. Georg Diederich